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Auf der Inhorgenta 2024 lernte ich erstmalig Thomas Baillod kennen, Kopf hinter der im Schweizer Neuchâtel ansässigen Newcomer-Marke BA111OD. BA111OD ist aber weit entfernt davon einfach nur eine weitere von vielen Microbrands zu sein: Besonders beeindruckt hat mich das Modell CHPTR_Δ, das eine Zeitanzeige mitbringt, die ich in der Form noch nie gesehen habe: Zunächst dachte ich bei dem Modell an eine klassische Einzeigeruhr. Aber mitnichten…

Eckdaten BA111OD CHPTR_Δ:

  • Swiss Made
  • Automatisches Swiss Made-Uhrwerk mit BA111OD-Manufakturmodul 09310 mit hypozykloider/deltoider Zeitanzeige (Basis: Soprod M100), 42 Stunden Gangreserve
  • Gehäuse aus 316L-Edelstahl
  • Durchmesser 44 mm
  • Höhe 12,7 mm
  • Horn-zu-Horn 50 mm
  • Transparenter Gehäuseboden
  • Zifferblatt: Satinierter, matter Stahl mit mehreren Ebenen und Lasergravur
    Facettiertes Dreieck aus poliertem Stahl, blauer Punkt
  • Saphirglas mit Entspiegelung, NFC-Technologie integriert
  • Wasserdichtigkeit 5 bar / atm
  • Kautschukband mit Faltschließe, Schnellwechselsystem
  • Preis: 3250€, direkt über ba111od.com

Über BA111OD

Klären wir gleich vorweg, was es mit der mysteriösen Namensgebung der Uhrenmarke auf sich hat – denn das war auch auf der Inhorgenta 2024 eine meiner ersten Fragen an den Gründer Thomas Baillod: Wie soll man den Markennamen denn bitteschön aussprechen? Tatsächlich zeigte er sich tiefentspannt: “Just as you like”, wurde mir entgegnet – und ich glaube, dass es Thomas auch durchaus recht war über den ungewöhnlichen Markennamen den Gesprächseinstieg zu finden. Ich hielt mich im Folgenden dann aber an der französischen Aussprache des Familiennamens von Markeninitiator Thomas, also “bai-jo”, da mir „B-A-1-1-1-O-D“ dann doch etwas zu sperrig war.

Der 52 Jahre alte und in der Uhrenhochburg La Chaux-de-Fonds geborene Thomas Baillod ist studierter Betriebswirt. Bevor er sich 2019 mit BA111OD selbstständig gemacht hat, war er unter anderem bei verschiedenen Uhrenmarken für Aufbau und Management der internationalen Distribution zuständig.

Eigentlich wollte Thomas Baillod die Uhrenbranche von einem neuen kundenbezogenen Vertriebskonzept auf Grundlage von Social Selling bzw. User generated Commerce bzw. We-Commerce überzeugen. Doch die angesprochenen Uhrenmarken winkten ab und zeigten sich wenig gesprächsbereit – also ergriff er einfach die Initiative und setzte sein Konzept in Eigenregie in die Tat um.

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Thomas Baillod (links) und meine Wenigkeit

Das Vertriebskonzept von BA111OD

BA111OD-Uhren lassen sich über den Webshop auf ba111od.com käuflich erwerben – das ist im Jahre 2024 sicherlich alles andere als etwas spektakulär Neues, aber auch nur eine Seite der Medaille. Denn die eigentliche Besonderheit ist, dass er das Marketing in die Hände der Kunden legt.

Und das funktioniert konkret so: Als registriertes Mitglied der Community kann man sich auf einer interaktiven Landkarte in der BA111OD-App oder im Browser anzeigen lassen, wo der nächste sogenannte “Afluendor” (eine Wortneuschöpfung aus Ambassador, Influencer und Vendor) wohnt, und mit ihm Kontakt aufnehmen. Es handelt sich dabei um ein Netzwerk von Otto-Normal-Uhrenfreunden, die selbst schon mindestens eine BA111OD-Uhr besitzen und mit denen man sich über die App auf einen Kaffee treffen kann, um über die Erfahrungen mit der Marke zu sprechen. Möchte man dann selbst eine BA111OD-Uhr erwerben, so erfolgt die Lieferung direkt durch BA111OD. Insbesondere in der Schweiz gibt es etliche dieser Afluendors, das Netzwerk ist erstaunlich dicht. In Deutschland ist die Abdeckung noch etwas dünner.

Das System funktioniert dabei mit Incentivierung: Teure Werbekampagnen, Testimonials und Influencer sucht man bei BA111OD vergebens – die in der Community aktiven Uhrenfreunde, die im Prinzip als Markenbotschafter und Verkaufsberater fungieren, bekommen für eine Weiterempfehlung Punkte, die wiederum für Uhren und andere Prämien wie Kleinlederwaren verwendet werden können. Alternativ kann man alle Modelle aber auch in einem Showroom in der Villa Castellane, Faubourg de l’Hôpital 21, 2000 Neuchâtel besichtigen und kaufen (nach vorheriger Terminabsprache) – oder wie gesagt auch einfach direkt online ordern.

BA111OD betont dabei, dass man sich von Multi-Level-Marketing-Methoden abgrenzen will, die immer wieder in der Kritik stehen: BA111OD setzt auf “stressfreies” Single-Level-Marketing, d.h. es gibt keine Belohnungskette über mehrere Ebenen. Diese Form von Social Selling ist an sich nichts Neues, im Uhrenbusiness aber so ziemlich einmalig und sicherlich ein wichtiger Baustein dafür, die Preise erschwinglich zu halten.

Mehr über das Vertriebs- und Marketingmodell gibt’s hier.

BA111OD CHPTR_Δ im Test

Was ihr wahrscheinlich zuerst wissen möchtet ist, wie die Uhr BA111OD CHPTR_Δ (ausgesprochen: Chapter Delta) überhaupt die Zeit anzeigt. Vorab: Das ist keine Raketenwissenschaft, aber durchaus erklärungsbedürftig im Vergleich mit „normalen“ Uhren.

Das Modell verwendet zunächst einmal einen zentralen Minutenzeiger mit einer dazugehörigen Minuterie im Außenbereich des Blattes. So weit, so normal. Der eigentliche Clou ist, dass sich bei dem Modell zusätzlich ein Punkt (als „Stundenzeiger“; im Falle der hier gezeigten Variante CHPTR_Δ.1 [KAIROS] in der Farbe Blau) auf der Innenseite des markanten Deltas seine Bahnen zieht. In Richtung der drei Ecken verliert der Punkt an Geschwindigkeit bzw. verweilt jeweils kurz in den Ecken, um das nächste Drittel des Deltas anzusteuern. Die Markierungen für 12, 4 und 8 Uhr befinden sich in den Ecken, während die anderen Stunden durch Strichindizes gekennzeichnet sind.

Alles in allem ist diese Art der Zeitanzeige auf den ersten Blick sicherlich gewöhnungsbedürftig, allerdings auch deutlich besser ablesbar als ich zunächst annahm.

Hier im Beispiel ist es etwa 10 nach 10:

Im Zeitraffer sieht das Ganze dann so aus:

Technisch funktioniert die Zeitanzeige so: Anstatt einfach einen Zeiger um eine zentrale Achse drehen zu lassen, wurde das Uhrwerk so konzipiert, dass ein Satelliten-Stundenrad um ein festes zentrales Stundenrad rollt.

BA111OD spricht hier auch von einer asymmetrischen, hypozykloiden Zeitanzeige. Hypozykloid? Uhrenfreunde denken nun vielleicht an ein Kunstwort. Mathematiker wissen aber: Tatsächlich ist eine Zykloide eine Bahn, die ein Punkt auf dem Umfang eines Kreises beschreibt, wenn dieser Kreis auf einer Leitkurve, zum Beispiel einer Geraden, abrollt. Das ist in dieser kleinen Animation schön zu sehen:

Cycloid f
Zorgit, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Rollt der Kreis dagegen innen in einem anderen Kreis ab, entstehen sogenannte Hypozykloiden. Eine Sonderform sind Hypozykloide mit drei Spitzen – sogenannte Deltoide. Und diese Form stellt naheliegenderweise die Basis für die CHPTR_Δ dar.

Hypocycloid Ratio 3 to 1
V.Jäkel, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Auch, wenn die meisten von uns den Mathematik-Unterricht wohl wenig praxisorientiert in Erinnerung haben dürften, so gibt’s natürlich auch für Zykloide praktische Anwendungen: Technische Anwendungsgebiete finden sich beim Zykloidenpendel (Schwingungsdauer ist unabhängig vom Pendelausschlag; C. Huygens), dem Wankelmotor von Felix Heinrich Wankel und – na klar – in der Feinmechanik und Uhrmacherei, konkret der Zykloidenverzahnung. Die Zykloidenverzahnung beschreibt gleichartige Zahnprofile für beide Räder (siehe Mathematiker P. de la Hire, der als Begründer der Verzahnungslehre gilt, zum Beispiel mit der Entwicklung einer Verzahnung mit konstanter Übersetzung).

Die Werksbasis stammt übrigens von der Soprod SA aus der Schweiz in Form des Kalibers M100, wie BA111OD auch transparent in den Spezifikationen der CHPTR_Δ vermerkt. Seit 2007 ist Soprod in der Hand der spanischen Festina Group. Soprod-Werke sind aber nach wie vor Swiss Made: die Produktion findet in Les Reussilles im Berner Jura statt. Das Kaliber kommt dabei mit durchaus ansehnlichen Dekorationen, namentlich einer Perlage und einem skelettierten Rotor mit BA111OD-Logo.

BA111OD ergänzt das Soprod M100 um das Manufakturmodul 09310, das auf die Idee des Neuenburgers Diego Böttger-Zevallos zurückgeht. Hier hören die Wort-/Zahlenspiele übrigens nicht auf: 09310 rückwärts gelesen ergibt (mit ganz viel Fantasie) den Namen Diego – genau wie BA111OD eine Anspielung auf den Gründer Thomas Baillod ist. Hersteller für das Modul ist Olivier Mory bzw. dessen Firma BCP Tourbillons aus der Schweizer Uhrenhochburg La Chaux-de-Fonds.

Von der erklärungsbedürftigen Zeitanzeige mal abgesehen wirkt das Zifferblatt der BA111OD CHPTR_Δ durch seine mehrschichtige Anordnung sehr plastisch und futuristisch: Zum einen haben wir das Delta, das sich über das ganze Blatt erstreckt und mit seinen mit seinen anglierten und polierten Kanten (innen wie außen) schöne Facetten zeigt. Des Weiteren gibt es zentrale Vertiefungen bzw. Skelettierungen und Brücken, die den Blick auf die Perlage des Soprod-Kalibers freigeben. Das BA111OD-Schriftlogo ist offenbar auf einer kleinen transparenten Glasplatte im linken oberen Drittel verewigt – hier hätte ich mir eine etwas geschicktere Lösung gewünscht, das ist aber Meckern auf ziemlich hohem Niveau. Ein Nachteil dieser gesamten Konstruktion soll aber nicht unerwähnt bleiben: Das Datumsfenster versteckt sich vertieft und etwas schüchtern im oberen rechten Drittel und wird durch das Delta in bestimmten Blickwinkeln verdeckt. Die Leuchtmasse ist außerdem kaum der Rede wert: Wenn es sehr dunkel ist, gerät das Ablesen zum Ratespiel.

Geschützt wird das Zifferblatt von einem Saphirglas – aber nicht irgendeinem Saphirglas: in das Glas ist ein unscheinbarer NFC-Tag eingebettet – man halte einfach das Smartphone mit einer entsprechenden App über die Uhr und schon wird der NFC-Tag erkannt. Diese Funktion steht im direkten Zusammenhang mit dem oben beschriebenen Afluendor-Netzwerk: Trifft man sich als BA111OD-Interessent mit einem Afluendor und scannt man dessen Vorführ-Uhr, so bekommt der Afluendor im Falle eines Kaufs über den individuellen Link, der über den NFC-Tag übertragen wird, Punkte gutgeschrieben.

Das Gehäuse ist mit 44mm Durchmesser ziemlich sportlich dimensioniert. Wenn man mal ehrlich ist, ist die CHPTR_Δ aber auch alles andere als eine Uhr, die sich zurückhaltend und dezent präsentiert. Der hypozykloide Mechanismus soll natürlich auch „atmen“ dürfen, oder? Schade ist in dem Zusammenhang aber, dass die Wasserdichtigkeit nur 5 bar beträgt (Spritzwasserschutz) – das massive Gehäuse des Modells hätte sicherlich auch mehr vertragen. In jedem Fall bewerte ich den Tragekomfort als gut – auch dank der handrückenschonenden, versetzten Krone und des überaus flexiblen Kautschukbandes.

Abschließende Gedanken zur BA111OD CHPTR_Δ

Die Ausstrahlung der BA111OD CHPTR_Δ erinnert ein wenig an Marken wie De Bethune oder MB&F – nur mit dem großen Unterschied, dass die CHPTR_Δ einen Bruchteil dieser Ultraluxusmarken kostet.

Ob man das futuristische Design des Modells mag oder nicht, ist natürlich absolut Geschmacksache. Was die CHPTR_Δ mit ihrem erfrischend anderen Konzept für den Preis von 3250€ bietet, ist aber ziemlich beeindruckend und fast schon zu schön um wahr zu sein (und das schreibe ich wahrlich nicht oft).

Wie bereits erwähnt empfinde ich die Ablesbarkeit der CHPTR_Δ besser als erwartet. Wer dennoch etwas „normalere“ Zeitanzeigen bevorzugt, der findet bei BA111OD aber auch noch eine einige weitere Modelle, darunter eine “Genta-Stil”-Stahl-Sportuhr ab 625€, einen Chrono mit ETA 7750 für 1640€ und eine Tourbillon-Modellreihe (ab 7300€) – letzteres Modell kommt ebenfalls mit einem Kaliber von BCP Tourbillons aus La Chaux-de-Fonds.

Ich bin jedenfalls extrem gespannt, wo die Reise von BA111OD noch hingehen wird.

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Rumburak Klötenschneider
4 Monate zurück

Ja, nicht uninteressant. Mit etwas Phantasie kann man das sogar pfiffig nennen. Nichtsdestotrotz kommt mir seit geraumer Zeit immer öfter der Gedanke, daß alle guten, einfachen, übersichtlichen, zweckmäßigen und vor allem schönen Designs, die Gestaltungen von Armbanduhren betreffend, längst gefunden sind. Ähnlich einer Hose hat man bei einer Uhr nur einen beschränkten Gestaltungsspielraum, will man das eigentliche Ziel, bei einer Armbanduhr das fehlerfreie und direkte Ablesen der Zeit, nicht aus den Augen verlieren. Eine Hose mit drei Beinen und dem Hosenschlitz hinten wäre sicherlich ganz interessant, aber unzweckmäßig.

Dennoch scheint mir in dieser Zeit die Phantasie, wie Uhren auszusehen haben, gerade bei Kleinherstellern und -vertrieben in ungeahnte Bereiche auszuufern. Schaut man sich grotesk überteuerte Scheußlichkeiten wie zum Beispiel diese Exemplare von Richard Mille an, kann einem ästhetisch geschulten Menschen nur schlecht werden.

Eine Submariner, eine Daytona und eine Speedmaster werden auch deswegen so oft kopiert bzw. mit einer Hommage verehrt, weil ihre Gestaltung einfach, nützlich, übersichtlich und absolut zeitlos ist. Aber jeder Jeck ist bekanntlich anders und so wird auf dem immer weiter ausufernden Uhrenmarkt jeder seins finden. Auch wenn ich persönlich finde, daß eine Uhr mit Totenkopf von besagtem Richard Mille (Putin hat so eine, passt hier sehr gut) für mehr als eine halbe Million Euro extrem geschmacklos ist und seinen Besitzer deutlich charakterisiert.

Aber zurück zur Chapter Delta. Nach den eben beschriebenen Ungeheuerlichkeiten gefällt sie mir jetzt schon etwas besser. Es ist halt wie immer eine Frage des Betrachtungsstandpunkts.

Das Bild des Autors des Artikels zusammen mit dem Urheber dieses gewöhnungsbedürftigen Zeitmessers ist eine freundliche Zugabe, nur sollte sich Mario daraufhin nicht mehr „meine Wenigkeit“ nennen. Das schreibt übrigens jemand, der früher in der Werbung treffend beschrieben wurde. „Ich bin zwei Öltanks“(wer‘s noch kennt…).

Langerhein
4 Monate zurück

Ein super Kommentar, dem nichts hinzuzufügen ist.

Rumburak Klötenschneider
4 Monate zurück
Antworten...  Langerhein

Danke!🙏🏻